Sprachkunst Jahrgang XLIX/2018, 1. Halbband, pp. 73-86, 2019/04/18
Beiträge zur Literaturwissenschaft
Jahrgang XLIX/2018, 1. Halbband
In Daniel Kehlmanns jüngstem Roman ›Tyll‹ spielen Esel ein unauffällige, aber poetologisch wichtige Rolle. Ein namenlos bleibender Esel aus Tylls Kindheit kommt in einer rätselhaften Situation im Wald grausam zu Tode – ob durch den Jungen oder auf andere Weise, bleibt im Roman offen. Der an späterer Stelle auftretende Esel Origines begleitet Tyll während seines Gauklerlebens und wird von diesem zur Präsentation seiner Bauchrednerkünste genutzt. Allerdings ist mit zunehmender Handlungsdauer immer ungewisser, ob der Esel nicht möglicherweise doch selbst sprechen kann und möglicherweise sogar ein Buch schreibt. Die fortdauernde Ungewissheit um beide Esel ist Ausdruck von Kehlmanns spezifischer Darstellungskunst, die auf den Begriff einer „Ungewissheitspoetik“ gebracht werden kann. Hierfür werden abschließend weitere Beispiele aus dem Gesamtwerk angeführt.