Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft, Band 166/2024, pp. 41-68, 2025/04/30
Band 166 (Jahresband), Wien 2024
Volume 166 (Annual volume), Vienna 2024
In den letzten Jahrzehnten hat sich Migration in Europa von einer überwiegend temporären Arbeitsmigration zu einem langfristigen, dauerhaften gesellschaftlichen Prozess entwickelt. Diese Veränderung wird zunehmend im gesellschaftlichen Diskurs reflektiert. Neu an diesem Diskurs ist die steigende Anerkennung, dass Migration auch Veränderungen der sozialen und politischen Strukturen mit sich bringt. In diesem Zusammenhang wird der Begriff „Teilhabe“ immer relevanter. Die neue Begrifflichkeit deutet auf eine breitere gesellschaftliche Debatte hin, die auch Fragen zu gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten, sozialen Rechten und politischer Mitbestimmung von Zugewanderten aufwirft. In diesem Zusammenhang finden auch neue Aushandlungsprozesse um Raum statt, welche zunehmend zwischen Flexibilität und Unveränderbarkeit kontrahieren. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Artikel mit den Wechselwirkungen von Migration, sozialen Strukturen und räumlichen Prozessen. Im ersten Schritt werden verschiedene sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Teilhabe und Migration analysiert und die Rolle von Raum herausgearbeitet. Dabei wird deutlich, dass die Differenzierung zwischen gesellschaftlichem Diskurs und Forschungsdiskurs entscheidend ist, um den komplexen Übergang von Migration als temporärem Phänomen hin zu einem langfristig anerkannten, gesellschaftlich relevanten Prozess zu verstehen. Hierin stößt die Soziale Arbeit als die den Teilhabebegriff prägende Disziplin an ihre Grenzen und die Forschung steht vor Herausforderungen. Aus den verschiedenen disziplinären Perspektiven wird jedoch deutlich, dass Teilhabe, Migration und Raum wissenschaftlich vor allem durch die Zusammenhänge von (Macht-) Ungleichheit, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft und ein relationales Verständnis zu verstehen sind. Mithilfe einer systematischen Literaturanalyse wird im zweiten Schritt untersucht, was die raumbezogene, deutschsprachige Forschung zu diesem Diskurs beitragen kann. Im Ergebnis können theoretische Ansätze wie Migrationsregime und Urban Citizenship den wissenschaftlichen Diskurs um machtvolle und ungleiche Raumkonstellationen erweitern. Sie verweisen auch auf die kontrahierenden Aushandlungsprozesse von bzw. um Raum.
Keywords: Teilhabe, Migration, Raumverständnis, soziale Strukturen, räumliche Prozesse, Interdisziplinarität, systematische Literaturanalyse